Wie das österreichische Privatfernsehen Journalismus simuliert

Wer wissen will, wie die Zuschauer:innen des linearen Fernsehens in Österreich ticken, muss nur einen Blick auf die täglichen Quoten werfen. Seit Jahren nehmen hier die ORF-Info-Sendungen »Bundesland Heute« und »Zeit im Bild 1« die Spitzenplätze ein. Ebenso lange tummeln sich dahinter die in Österreich ebenfalls linear empfangbaren Programme von RTL und ZDF. Danach erst folgt das heimische Privatfernsehen. Bei der Beliebtheit der Formate finden sich Info- bzw. Nachrichtensendungen allgemein ganz vorne wieder; gefolgt von Sport-, Quiz- und Reality-Sendungen sowie Serien und Spielfilmen.

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Zulauf zu alternativen Nachrichten während der Pandemie

Seit längerem lässt sich beobachten, dass Servus TV unter den heimischen Privatfernsehsendern besonders viele Interessierte anlockt. Der Sender macht allerdings kein Hehl aus seiner grundsätzlichen Haltung zu den Corona-Massnahmen und der Pandemie allgemein. In der Vergangenheit tummelten sich daher auch häufig Corona-Leugner bzw. -Verharmloser und Querdenker auf diversen Sendeplätzen. Dabei durften die immer gleichen Personen ganz im Sinne der Ausrichtung des Senders wettern. Gegenteilige Meinungen bzw. seriöse Aufklärung durch echte und nicht ausschließlich selbsternannte Covid-Experten waren bei Servus TV hingegen sichtlich unerwünscht. Dass Impfskeptiker und Anhänger von Verschwörungsmythen bzw. Verschwörungsideologen genau diesen Sender daher auch besonders gerne sehen, zeigte erst kürzlich eine Studie.

Meinung statt Fakten

Genau das findet sich auch in der abendlichen Nachrichtensendung wieder. Auf den ersten Blick wirkt ihre Aufmachung seriös. Schon bei den Schlagzeilen wird eins (bei der Sendung am 24. 8. 2021) aber hellhörig. Hier heißt es zur Sperre der afghanischen Flughäfen durch die Taliban, dass

  • die Sorge wachse, dass auch Terroristen und abgeschobene Straftäter mit den Evakuierungsflügen nach Europa kämen
  • die Stadt Wien Corona-Tests durch kürzere Gültigkeit unattraktiver mache
  • das deutsche Fernsehen mit »sogenannter« geschlechtergerechter Sprache für Kopfschütteln sorge

Gerade beim zweiten Beitrag zeigt sich die Haltung des Senders ganz deutlich. In der Anmoderation meint der Nachrichtenchef und News Anchor hörbar vorwurfsvoll, dass die Stadt Wien Ungeimpften das Leben künftig indirekt erschwere. Um das zu unterstreichen, holt der Sender die Meinung der höchsten Salzburger FPÖ-Politikerin ein, die beim andauernden Sonderweg Wiens überraschenderweise eine Impfpflicht durch die Hintertür sieht. Wobei die FPÖ bekanntermaßen gegen die Corona-Impfung und ihr Parteichef gemeinsam mit Querdenkern auftritt.

Unterstrichen wird das offene Wien-Bashing bzw. die Kritik am Weg der Bundeshauptstadt zusätzlich mit einer Grafik, die zeigt, dass die 2-Millionen-Stadt unter allen neun Bundesländern die höchste 7-Tage-Inzidenz habe. Ein Verweis auf Wiens Sonderstellung durch die – im Gegensatz zu den anderen acht Bundesländern – dichte Besiedelung oder die höhere Anzahl an Tests und Testmöglichkeiten in der Bundeshauptstadt fehlt zur Einordnung völlig.

Offen gegen gendern

Im vierten und letzten Beitrag geht es der inklusiven Sprache an den Kragen. Auch hier wird die unübersehbar nach rechts tendierende Haltung des Senders deutlich. Als wäre es Fakt und nicht etwa eine Meinung, heißt es in der Anmoderation, dass selbstauferlegte Sprachregeln bei der Mehrheit der Zuschauer für Kopfschütteln sorgten und es wachsenden Widerstand gäbe. Im Beitrag selbst kommen dann auch ausschließlich jene Stimmen einer Straßenbefragung vor, die der sprachlichen Sichtbarmachung von Frauen ablehnend gegenüberstehen. Als Experte tritt schließlich noch ein pensionierter Sprachwissenschafter auf, der sich zuvor bereits in Medien gegen das Gendern ausgesprochen hat.

Unterstrichen wird die ohnehin schon deutliche Haltung des Senders mit einer vor über einem Monat veröffentlichten ZDF-Studie. Darin erklärten 70 Prozent der Befragten, dass gendern in den Medien für sie kaum oder gar nicht wichtig sei. Nur jede und jeder Vierte hält es für wichtig. Die Anzahl der Befragten erfahren die Zuschauer:innen nicht. Eine kurze Recherche zeigt, dass rund 1.200 Personen in Deutschland befragt wurden. Würde man die manipulativen Techniken des Senders anwenden, ließe sich ebenso unsachlich argumentieren, dass gerade einmal 840 Personen in einem 80 Millionen Einwohner Land gendern für unwichtig erachten.

Simulation von Journalismus

Im Ablauf und in der Optik erscheint die Nachrichtensendung wie jede andere: Es werden vorproduzierte Beiträge abgespult, die jeweils nur von den entsprechenden Anmoderationen getrennt sind. Die Auswahl der Interviewpartner:innen und die Formulierungen zeigen aber klar, dass hier Journalismus lediglich simuliert wird. Es ist nur ein »als ob«. Es werden keine Ansichten gegenübergestellt. Die gefühlte Wahrheit zählt hier offenbar mehr als alle bekannten Fakten. Die Berichterstattung ist keineswegs ausgewogen, sondern folgt klar der Haltung des Senders. Wenn Journalismus seriös und glaubwürdig sein will, sollte er daher eines jedenfalls nicht sein: wie Nachrichten bei Servus TV!

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