Ein halbes Jahr hat es gedauert. Nun aber war Radio Anfang Februar wieder für einen kurzen Moment Thema der Berichterstattung. Genau wie hier bereits angekündigt, wurde es ein halbes Jahr lang totgeschwiegen – bis zum jüngst erschienenen Radiotest! Für jene, die sich dafür interessieren, war es spannend zu sehen, wie es dem Radio im zweiten Halbjahr ergangen ist. Einiges mag überraschen, manches hatte sich schon abgezeichnet.
Willkürliche Diskriminierung
Die Werbebranche hat irgendwann bestimmt, dass es diese diskriminierende Kategorie der werberelevanten Zielgruppe von 14 – 49 gibt. Die Grenze war natürlich rein willkürlich gezogen. Argumentiert wurde sie jedoch damit, dass sich Ältere bei ihren Gewohnheiten nur noch schwer umstimmen lassen. Daher werden Personen ab 50 Jahren nicht nur vom Arbeitsmarkt, sondern auch von Werbern einfach aussen vor gelassen. Zumindest gilt das für Österreich. Anderswo, wie etwa in der Schweiz, ist man zumindest so weit zu erkennen, dass sich auch ältere Personen in einer sich ständig verändernden Welt umorientieren und auch das höhere Budget haben. Dort zielt man deshalb auf Personen bis 59 Jahre.
Besonders kurios wird diese in Österreich derart verfestigte Kategorie übrigens, wenn man einen Blick auf die demographischen Gegebenheiten wirft: Mehr als 3,5 Millionen Menschen in Österreich sind älter als 49 Jahre. 4 von 10 Personen im Land werden also schlichtweg ignoriert.
Radio macht da selbstverständlich keine Ausnahme. Medien bilden, wenn es um Expertise gleich welcher Art geht, zwar bevorzugt ältere weiße privilegierte Männer ab. Zielgruppe sind sie bedauerlicherweise aber nicht mehr. Es interessiert schlicht nicht, welchen Radiosender die an den Machthebeln sitzenden, einkommensstarken Männer über 50 hören oder ob sie überhaupt Radiohörer sind.
Auch für den letzten Radiotest 2020 wurden daher nur Personen der vorgegebenen Altersgruppe berücksichtigt. Wie sehr das die tatsächliche Nutzung verfälscht, müssen Statistiker klären. Aus den erhobenen Daten lässt sich zumindest für einen Vergleich einiges ablesen.
Immer weniger hören Radio
Das (im negativen Sinne) beeindruckendste ist, dass das Interesse an Radio massiv schwindet. In Österreich wird laut RMS-Austria mit rund 170 Minuten täglich weit weniger Radio gehört, als noch im 2. Halbjahr 2019. Einschränkend lässt sich dazu sagen, dass der Radiotest nur die Radiogewohnheiten in Österreich abfragt. Die Hörgewohnheiten jedoch bleiben im Dunkeln. Schließlich erlebt Podcast auch hierzulande einen Boom. Daher die reine Mutmaßung: Jene, die dem Radio verloren gehen, hören womöglich neben Spotify oder anderen Musikplattformen vermehrt Podcasts. Weitere mögliche Gründe für den Hörer:innenschwund dann auch noch am Ende dieses Artikels.
Bei der Tagesreichweite von Montag bis Sonntag geht es in allen Bundesländern für alle heimischen Sender nach unten. Ausgenommen sind lediglich die Privaten in Oberösterreich und Tirol mit einem geringen Plus. Sieht man sich die einzelnen Sender und ihre Performance im 2. Halbjahr 2020 an, wird der Einbruch der Öffentlich-rechtlichen Cash Cow, Ö3, augenfällig. Gerade in der – oben erwähnten – werberelevanten Zielgruppe verliert der Sender massiv an Hörer:innen. In Salzburg beispielsweise ging es von 50,7 Prozent Tagesreichweite auf 44,7 Prozent hinunter. Auch die ORF Regionalradios verlieren. Mit Ausnahme von Wien, dem Burgenland, Oberösterreich und Tirol, wo es einen sehr geringen Anstieg gibt. Vor allem im Süden und Westen kann auch FM4 zulegen. Und auch der Informationssender Ö1 gewinnt neue Hörer:innen.
Bei den Privaten wird die Suche nach Gewinnern schon um einiges schwieriger. Die einzig sichtbaren Zuwächse weist Life Radio Tirol auf. Für den beliebtesten Privatsender kroneHit geht es hingegen weiter bergab. Und in Salzburg dürften die neuen Betreiber der ehemals populären Antenne Salzburg den Sender seit dem Neustart mit Anlauf gegen die Wand fahren. Die Tagesreichweite unter der Woche wie auch von Montag bis Freitag ist jedenfalls nur noch einstellig. Beim Marktanteil zählt kroneHit – mit Ausnahme des Südens – ebenfalls zu den Verlierern. Radio Arabella hat seinen Marktanteil in Wien und Niederösterreich innerhalb eines Jahres halbiert.
Gründe für die Radioflucht
»Die Pandemie ist schuld. Sobald wir unser altes Leben zurück haben, wird alles besser.« So einfach ist das natürlich nicht. Dass sich das Radio angesichts einer immer größeren Medienkonkurrenz anstrengen muss, war allen Verantwortlichen schon seit Jahren klar. Die Pandemie sorgte lediglich dafür, dass die Abkehr um einiges schneller geht.
Radio war als Medium vorrangig auf die Nutzung im Auto angelegt. Hier gibt es eine Priorität. Schließlich benötigt niemand, der in den eigenen vier Wänden sitzt, einen Verkehrsfunk. Nur: Genau das machen mittlerweile viele. Sie sitzen zum Arbeiten bei sich daheim. Das Home Office kostet die Sender Hörer:innen. Morgens das Radio aufzudrehen oder mit dem Radiowecker aufzuwachen, ist wohl unverändert. Danach geht es aber vom Frühstückstisch an den Schreibtisch oder man bleibt zum Arbeiten gleich beim Küchentisch sitzen. Die Autofahrt entfällt. Für manche hat das Auto im Vorjahr als Ganzes bereits ausgedient. Insgesamt gab es 2020 um ein Fünftel weniger KfZ-Zulassungen, als im Jahr davor. Auch wenn so manche aus finanziellen Gründen eine Neuanschaffung nach hinten geschoben haben dürften, haben sich wohl viele, die nun nicht mehr täglich zur Arbeit fahren müssen, vom eigenen Auto ganz getrennt.
Wie geht es weiter?
Vor einigen Jahren – und damit noch in Vor-Pandemie-Zeiten – bescheinigte der Radio-Zukunftsforscher James Cridland dem Radio eine Zukunft. Dabei erwähnte er, dass 9 von 10 über 55jährigen in Großbritannien Live-Radio hören. Bei den Jüngeren waren es schon damals weitaus weniger. Wie also wäre es, zuerst damit zu beginnen, sich denen zu widmen, die da sind? Den Älteren! Wieso sollte man nicht die starr vorgegebene Zielgruppe ausweiten? Wieso sollte man dann nicht auch gleich Radio für jene machen, die es teils aus jahrzehntelanger Gewohnheit hören? Für all jene, die älter sind als 49! Aber das dürfte in Österreich wohl eher Utopie sein.