Einer der Vorteile von Büchern ist, wie ich finde, dass sie einen nicht enttäuschen. Tun sie es wider Erwarten doch, kann man sie getrost beiseitelegen und mit ewiger Missachtung strafen. „Glamouröse Wienerinnen“ hat mich enttäuscht. Aufgrund der Hoffnung, dass es mich zum Ende hin doch noch versöhnt und auch, weil es das Geschenk eines lieben Menschen war, habe ich dem Drang, es wegzulegen, widerstanden.
Zu ihrer Zeit bekannte Wahl-Wienerinnen
Ein Buch mit einem solchen Titel zu versehen und dann auch noch eine der darin beschriebenen Frauen aufs Cover zu setzen, weckt Erwartungen. Es sind nicht unbedingt große Erwartungen, aber zumindest jene, dass man darin etwas Glamour und vor allem einem heute mitunter nicht mehr bekannte Wienerinnen findet. Einen ersten Hinweis, dass man damit falsch liegen könnte, gibt bereits die lieblos hingeworfene Einleitung, die mehr einem kurzen Abriss gleicht. Hier heißt es dezent, es ginge um „Wienerinnen im weitesten Sinne“. – Tatsächlich handeln die einzelnen Kapitel dann auch von Frauen, die Wien besucht, hier aufgetreten, Lebensjahre verbracht oder gar gestorben sind, also Wahlwienerinnen. Geschichten über echte Wienerinnen – und damit solche, die aus der Stadt stammen – sind dagegen in dem Buch rar.
Leser bekommen Satzfetzen entgegenschleudert
Man könnte jetzt annehmen, dass diese quasi Themenverfehlung das Schlimmste sei an dem Buch. Das ist es aber nicht. Schlimmer noch ist, dass es sich wie einer der ersten unfertigen Entwürfe liest. Sätze werden dem Leser unzusammenhängend entgegenschleudert, als gälte es, das volle Kontingent an vorhandenen Zeichen des Alphabets rasch aufzubrauchen.
Streckenweise ist es das reinste Namedropping. Der Autor wirft mit zum Teil heute noch bekannten Namen um sich und landet entgegen der in der Kapitelüberschrift oder -einleitung genannten Person, bei jemand gänzlich anderem – und das, scheint’s, schlicht um Seiten zu füllen.
Geschichten finden sich im Online-Archiv von ANNO
Für jemand, der einigermaßen mit der großartigen AustriaN Newspaper Online Site der Österreichischen Nationalbibliothek vertraut ist, öffnen sich noch andere Abgründe: der Autor zitiert in weiten Teilen aus den darin vorhandenen alten Zeitungen und Magazinen. Man kann sich jetzt also bei ihm dafür bedanken, dass er einem die Recherche abgenommen hat oder einfach über seine Abschreibarbeit den Kopf schütteln.
Die letzten Kapitel des Buches stimmen einen dann doch wieder versöhnlich. Für jemand, der sich für das Wien der Zwischenkriegszeit interessiert, sind sie ungemein informativ. Allerdings haben auch sie einen gravierenden Schönheitsfehler: es geht nicht mehr um Wienerinnen, Wahlwienerinnen oder auch nur um Frauen. Eines dieser Kapitel verspricht, dass es sich den Bars in Wien widmet und endet mit Kokain in Wiener Kaffeehäusern.
Beurteile ein Buch nicht nach seinem Umschlag
Wenn mich diese Lektüre etwas gelehrt hat, dann dass der Stehsatz „ein Buch nicht nach dem Einband zu bewerten“ in beide Richtungen gilt. Denn rein die Optik des Buches mit dem viel versprechenden Titel hatte mein Interesse geweckt, sodass ich nicht einmal stutzig geworden war, ob des verschwindend geringen und so gar nicht aussagekräftigen Umschlagtextes.
Was am Ende vor dem Zuklappen des Buches und der dabei mitschwingenden Enttäuschung darüber, dass ich mich selbst um wertvolle Lebenszeit gebracht habe, meine Kinnlade nach unten schnappen hat lassen, war der Hinweis „Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien“.
Offen bleibt, wie hoch diese Förderung wohl gewesen sein mag. Der Autor aber hat meine tiefste Hochachtung dafür, das Buch offenbar allein durch den Pitch gefördert bekommen zu haben und dafür, es marketingmäßig so hervorragend zu begleiten. Damit – und nicht etwa mit dem Schreiben – könnte er auch seine Berufung gefunden haben.
Hast du einen anderen Eindruck von dem Buch oder bist du selbst schon einmal von einem Buch enttäuscht worden? Lass es mich unten in den Kommentaren wissen.