100 Minuten Filmschule mit “Singin‘ In The Rain”

Einer meiner erklärten Lieblingsfilme ist „Singin‘ In The Rain“. Bei unserem ersten Aufeinandertreffen vor vielen vielen Jahren war er für mich nur ein weiteres Filmmusical, ein Unterhaltungsfilm, der mich gut gelaunt zurückgelassen hat. Da das sein großes Plus war, durfte er sich von mir immer wieder ansehen lassen. Dabei habe ich über die Jahre allerdings festgestellt, dass mich zu jeder Zeit etwas anderes an ihm mitgerissen hat:

Anfangs waren es die freundlichen und hübschen Gesichter von Gene Kelly und Debbie Reynolds. Dann wieder waren es die Körperbeherrschung Donald O’Connors oder Musik und Filmschnitt.

Eines aber war immer gleich faszinierend: dass einem ein rund 100 Minuten dauernder Unterhaltungsfilm von vielen unbemerkt als Filmschule dienen kann. Hier ein kleiner Überblick, wie sich das im Film darstellt.

„Singin‘ In The Rain“ als kleine Filmschule

„Singin‘ In The Rain“ oder „Du sollst mein Glückstern sein“ wie er auf Deutsch heißt, zeigt nichts weniger als den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. Und genau dieser Plot, klassisch garniert mit einer Liebesgeschichte, lässt einen Streifzug über die Voraussetzungen für Beteiligte und Technik zu.

• Bild-Text-Schere
Gleich zu Beginn zeigen die dem Red-Carpet-Interview mit Don Lockwood (Gene Kelly) bei der Filmpremiere unterlegten Bilder genau das Gegenteil dessen, was er sagt. Das Publikum wird damit zum Komplizen und sieht die Richtung, in die der Film geht.

Für Zuseher und Kinobesucher im Film gleichermaßen unterhaltsam ist die Premiere im Saal selbst. Hier gibt es durch das Verschieben von Bild- und Tonspur eine weitere Bild-Text-Schere, bei der zwei Schauspieler plötzlich unsynchron sind. Die Darstellerin spricht kopfschüttelnd mit tiefer Stimme ein Ja und ihr männliches Gegenüber mit hoher Stimme nickend ein Nein.

• Sprechtechnik
Der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm hat Ende der 1920er Jahre vielen Stars die Karriere gekostet. Wer keine schöne und deutliche Sprechstimme hatte blieb beim Fortschritt auf der Strecke. Wie wichtig eine gute Sprechtechnik-Ausbildung schon damals war, wird im Film ebenfalls behandelt – und im Falle von Don Lockwood und Cosmo Brown (Donald O‘Connor) sogar gesanglich verewigt.

• Deko-Set
In der berühmten Szene mit dem tanzenden Cosmo wird nicht weniger erklärt, als das am Set vieles „aussieht wie“, aber tatsächlich nur Pappmaché ist. Es ist gleichermaßen eine Reverenz an jegliches Bühnenbild.

• Studioarbeit
Zumeist halten sich die Umstände, die für eine Szene benötigt werden, nicht an den vorgegebenen Drehplan. Daher muss ich die benötigte Wirklichkeit als „Filmschaffender“ schaffen. Schön zu sehen ist das – natürlich der Zeit der Herstellung entsprechend wieder als Musikszene umgesetzt – in der Szene im Studio, in der ein Gebläse angedreht wird, um Wind zu simulieren. Mittels eines Klicks ist im Hintergrund auf der Leinwand ein Sonnenuntergang zu sehen.

• Dubbing / Synchronisierung
Es ist eine Mär, dass US-Filme nicht synchronisiert würden. Internationale Filme zu synchronisieren hat aber tatsächlich nicht den gleichen Stellenwert wie in vielen europäischen Ländern. Wie die Technik funktioniert, zeigt sich, als das Ballettmädchen Kathy Seldon (Debbie Reynolds) heimlich der berühmten Schauspielerin Lina Lamont (Jean Hagen) ihre angenehme Stimme leihen soll.

Genau bei letzterem hat schließlich die Wirklichkeit den Film eingeholt. In der Originalversion waren die Produzenten mit Debbie Reynolds Stimme unzufrieden. Daher ist es zu der kuriosen Umkehr gekommen, dass sie ausgerechnet von Jean Hagen in der entscheidenden Synchronisationsszene synchronisiert wurde, weil diese in der Realität die angenehmere Stimme hatte.

Im gesamten Verlauf des Films hat Debbie Reynolds wohl ohnehin die meisten Stimmen. Auch in der entscheidenden Gesangsszene von „Would You“ auf der Bühne singen weder Reynolds noch Hagen, sondern mit Betty Noyes eine dritte Frau.

Ist euch vielleicht noch etwas aufgefallen, das „Singin‘ In The Rain“ zu einer kleinen Filmschule macht und das ich in dieser Aufzählung vergessen habe?

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