Über die Jahre habe ich viele Social Media Plattformen ausprobiert. Es gab jedoch kaum ein Angebot, das mir näher war als Twitter. Die im Vorjahr angekündigte Übernahme durch Elon Musk war dann auch für mich die Wiederholung meines persönlichen 2014. Damals übernahm Facebook Whatsapp und ich sah zu, dass ich die App rasch von meinem Smartphone schmiss und meinen Account schloss. Wer erinnert sich nicht: Schielend auf den Segen der EU-Kommission sicherte Mark Zuckerberg zu, die Daten der beiden Plattformen wirklich (!) niemals zusammenzuführen. Ich traute dem nicht. Zu sehr war mein Bild von der Darstellung seiner Person in David Finchers »The Social Network« geprägt. Er ist schlicht kein Mann, dem man trauen sollte. Und wir wissen alle, wie das mit der Achtung der User:innendaten Jahre später endete…
Die Wiederholung des persönlichen 2014
Diesmal tat ich mir nach mehr als zehn Jahren Zugehörigkeit zu Twitter aber ungleich schwerer als zu den Anfangszeiten von Whatsapp. Für Whatsapp gab es gute Alternativen, wie Threema oder Signal – und ja, auch Telegram, wo man auch schon damals Schwurbelkanäle einfach ignorieren konnte und ihnen nicht folgen musste. Nun aber war ich so daran gewöhnt, morgens Twitter aufzumachen und als letztes vor dem Schlafengehen noch einmal hineinzusehen, was es Neues gab. Zu wissen, ob die Welt noch stand – dafür war Twitter die erste Instanz. Personen, die mich kannten, schickten mir DMs über Twitter, weil sie wussten, dass sie mich dort rasch erreichen konnten. Meine Tweets waren über meine Website ganz simpel einsehbar. All das hieß es, zurückzulassen.
Jeder Abschied ist schwer
Moral ist keine Kategorie, wenn es um Social Media geht. Es geht um Sichtbarkeit und darum, Aufmerksamkeit zu generieren. Die fragwürdigen Methoden eines Mark Zuckerberg konnten Facebook, Instagram und Whatsapp nicht wirklich etwas anhaben. Der Umgang Chinas mit Menschenrechten, mit den Uiguren und die Involvierung von ByteDance in die Internierungslager lässt die Mehrheit der Tik Tok-User:innen kalt. Genauso wenig würden die rechten Ausfälle eines Elon Musk dazu führen, dass sich selbst erklärte Gegner der neuen Rechten, der Identitären oder von Faschisten von der Plattform abwendeten. Das musste aber nicht zwangsläufig für mich gelten. Ich gestand mir zu, authentisch zu bleiben.
und dann war da plötzlich Mastodon
Das erste, das als Alternative aufpoppte, war Mastodon. Es war plötzlich »ein Ding«. Wie zahlreiche andere im Frühjahr 2022 nahm ich es erst einmal gründlich unter die Lupe. Viele der Personen, die ich schon von Twitter kannte, wandten sich rasch wieder ab, weil »es nicht wirklich wie Twitter ist«. Nun, das hatte auch niemand behauptet und entsprang wohl eher einem Wunschdenken. Eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich aber nicht absprechen. Das einzig Richtige, das ich tun konnte: Mastodon eine Chance geben und es ausprobieren! Es konnte ein Neuanfang sein. Ich hatte in der Vergangenheit Accounts auf Twitter stummgeschaltet oder gar blockiert. Warum sich nicht selbst auch gleich neu erfinden und neue, aufregende User:innen entdecken?
Erste Schritte bei Mastodon
Ohne rechte Ahnung zu haben, meldete ich mich bei der Instanz mastodon.social an. Es konnte nicht schlecht sein, wenn es die Instanz des Gründers war. Erst nach und nach wurde mir klar, was es mit dem dezentralisierten Zugang im Fediverse auf sich hatte und dass es auch viele weitere interessante Instanzen gab. Mit einem Mal eröffnete sich mir eine ganz neue Welt. Ich musste nicht mit meinen Daten zahlen, um dazuzugehören. Bei kommerziellen Plattformen wusste eins mittlerweile: Wenn es nichts kostet, bist du das Produkt! Hier war es anders. Es fühlte sich an wie 20 Jahre zuvor in den Chatrooms, auch wenn es jetzt die erwachsene Version war. Mit dem Focus auf Information, auf Wissenserweiterung und nicht zuallererst mit Blick auf Unterhaltung und Zeitvertreib.
Unzählige Beiträge über Mastodon
Ein Artikel nach dem anderen erschien zu Mastodon. Mitunter bekam eins den Eindruck, dass einer von der anderen abschrieb. So sehr glichen die Ausführungen einander. Was aber auch gleich war, war das in den Artikeln beschriebene Wohlgefühl. Mastodon-User:innen empfingen eine tatsächlich mit offenen Armen. Keine Herabwürdigung, keine wie auch immer konstruierte Kritik an Aussagen des Gegenübers, keine Belehrungen. Man bekam Credit und musste nichts weniger machen, als es ihnen gleichtun. Es machte Spaß nach einigen Wochen in der Lage zu sein, den immer noch zahlreichen Neuankömmlingen unter #neuhier zur Seite zu springen und sie beim Einleben zu unterstützen. Irgendwann stellte ich überrascht fest: Twitter hatte mich nach und nach verloren. Meine erste Anlaufstelle am Morgen nach dem Aufstehen war nun Mastodon!
Erleichterung des Umstiegs
Mastodon machte einer das Ankommen aber auch wirklich leicht. Entwickler überboten sich mit Möglichkeiten, Twitter-Follower zu finden und ihnen mit wenigen Klicks auf der neuen Plattform zu folgen. Debirdify, Movetodon und ähnliche Angebote wurden rege genutzt und ebenso häufig empfohlen, …bis der neue Twitter-Chef dem ein jähes Ende bereitete.
Unterschiede zu Twitter
Die Unterschiede zu Twitter sind nur gering, haben aber doch recht interessante Folgen. Im Mittelpunkt stehen die Hashtags, nicht die Zahl der Follower. Mastodon-Accounts mit vielen Followern sind wohl eher von Twitter bekannt und konnten vermutlich einen Teil ihrer Fanbase mitnehmen. Die Anzahl der Follower wird nicht prominent dargestellt. Das gleiche gilt für Likes und Boosts (Äquivalent zum Retweet auf Twitter). Es bedarf schon zusätzlicher Klicks, um zu sehen, wie häufig ein Tröt (oder Toot) geteilt oder gesternt wurde. Ja, es gibt den früher bei Twitter so beliebten Stern, ehe »Jack« (Dorsey) ihn gegen allen Widerstand durch ein ungeliebtes Herz ersetzte. Mastodon gibt einer mehr Platz als nur 280 Zeichen, um sich mitzuteilen. Und das wird gut genutzt! Die Plattform ist aus meiner Sicht auch viel inklusiver. Ganz selbstverständlich werden Bildbeschreibungen hinzugefügt, um auch wirklich alle User:innen teilhaben zu lassen. Die Hashtags kommen ganz brav ans Ende eines Tröts, um Blinde und Sehbehinderte, die sich die Texte vorlesen lassen, nicht zu irritieren. Und ebenfalls nicht zu verachten: Man kann Tröts bearbeiten. Typos oder durch die Autovervollständigung falsch geschriebene Wörter lassen sich nachträglich korrigieren. Alle, die mit dem Tröt zuvor interagierten, sei es durch boosten oder liken, erhalten eine Mitteilung. Es ist die – fast – perfekte Welt. Nur eben nicht kommerziell.
Nischendasein
Genau hier ist auch die Einschränkung. Ich bin bald ein Jahr bei Mastodon, habe mich anfangs intensiv damit beschäftigt, zwischendurch pausiert, um im vergangenen Herbst, zum Abschluss der Twitter-Übernahme durch Musk, zurückzukehren – und habe nun vor, zu bleiben! Aber es lässt sich eben nicht kommerziell nutzen. Wenn es für Werbetreibende nicht interessant ist, bleiben Unternehmen aus. Sie sind es, die den großen Plattformen die Miete und deren Mitarbeitenden die Gehälter zahlen. Mastodon ist für Idealist:innen, für jene, die sich noch an die Anfänge des Internets vor mehr als einem Vierteljahrhundert erinnern.
Tweets teilen als No-Go
Entsprechend respektlos wurde es angesehen, wenn Accounts – bis zur Einschränkung durch Musk – weiter munter auf Twitter agierten und versuchten, ihren Empfänger:innenkreis durch das Teilen auf Mastodon zu erweitern. Das ging schon mit Links von FB auf Twitter schief. Diese Plattformen sind auf den Dialog ausgerichtet, nicht darauf, andere zuzumüllen. Sie sind nicht dazu gedacht, Interessierte als Multiplikator:innen zu missbrauchen und diese ansonsten links liegen zu lassen. Die Einstellungen bei Mastodon lassen es aber auch ganz leicht zu, derartige Accounts oder gewisse Wörter zu blockieren. Selbst der Begriff »Twitter« wird nur von eher Ahnungslosen genutzt. Gängig ist auf Mastodon »bird«. Erklärung ist dazu wohl keine nötig.
Nutzung von Mastodon
Auch wenn ich, wie erwähnt, weiterhin bei Mastodon unter meinem Klarnamen zu finden sein werde und meine Tröts für alle einsehbar schon seit vielen Monaten auf meinem Blog eingebettet sind, habe ich eines noch nicht abschließend herausgefunden: Seine beste Nutzung. In den ersten Monaten bestand meine hauptsächliche Interaktion über den Browser am Desktop. Nach und nach probierte ich Tusky und Fedilab parallel am Smartphone aus. Beides hatte Pros und Cons. Nach einer gefühlt täglichen Aktualisierung von Fedilab stürzte die App bei jedem Öffnen ab. Das hat die Entscheidung erleichtert, als Android-Userin auf Tusky zu vertrauen. Anders als im Browser lassen sich Tröts hier übrigens auch vorausplanen.
Fazit
2023 ist nicht 2014. Ich bin zu sehr an die Plattform gewöhnt, um sie loszulassen. Deshalb habe ich für mich beschlossen, auch weiter bei Twitter zu bleiben. Seit Monaten kaum noch aktiv, lasse ich mir aber offen, den Account einfach mit einem Schloss zu versehen und ruhen zu lassen, damit er nicht gekapert werden kann. Viele Prominente haben das bekanntlich genau so gemacht, wie etwa der Schauspieler und Schriftsteller Stephen Fry, die Drehbuchautorin Shonda Rhimes, Sängerin Toni Braxton, Schauspielerin Whoopi Goldberg, Autor Daniel Wisser oder der Deutsche Skiverband.
Wie hältst du es mit Social Media? Welche Plattform ist dir besonders nah? Falls du auf Mastodon zu finden bist: Hinterlasse einfach deinen Handle in den Kommentaren!