Was ist? Was wird sein? – Das sind die beiden Fragen, die uns – die wir nicht 24/7 in Pflegeberufen arbeiten – derzeit in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen wohl am dringendsten beschäftigen. Was mache ich jetzt ohne Job oder als Selbständige ohne Aufträge und damit ohne jedes Einkommen? Wie wird das weitergehen? Wann werden die jetzt notwendigen Maßnahmen enden? Auf viele Fragen haben wir keine Antworten.
Faszinierend ist für mich, dass es in meinem Umfeld wie auch in Tweets, die ich auf Twitter sehe, genau darum geht – um die Existenznöte. Niemand aber macht sich wirklich Gedanken darum, selbst erkranken zu können. Es ist wie dieses ungeschriebene Gesetz, wonach es immer nur andere trifft, aber nie einen selbst. Das ist auch nur eine Wahrnehmung, keine Kritik. Als sensitiver Mensch sehe ich auch den psychologischen Schutz darin. Wenn eins sich ohnehin schon um die berufliche bzw. finanzielle Lage sorgt, die Existenz bedroht fühlt, dann braucht es nicht auch zusätzlich die Angst um die eigene Gesundheit.
Plötzlich sind alle gleich – abgesehen vom Geld
Ich sehe derzeit aber auch ein „Gleichsein“. Es scheint im Moment egal zu sein, ob wir Mann, Frau oder anderer Zuordnung sind. Herkunft oder Ethnie ist ebenfalls kein Thema. Das einzige, das uns unterscheidet, ist, wieviel Geld wir zum (Über)Leben haben. Das bedeutet nicht, dass die Situation für Wohlhabende mit physischen oder psychischen Vorerkrankungen leichter ist. Es erscheint mir nur für jene mit derartigen Vorerkrankungen und ohne finanziellen Rückhalt um einiges schwerer. Sie sind mit den eingangs erwähnten Fragen konfrontiert und erhalten von offiziellen Stellen, wie auch von Medien, wenig bis gar keine Perspektive. Immer neue Erlässe, die im Sinne des Allgemeinwohls klarerweise akzeptiert und umgesetzt werden. Zusätzlich gibt es den jeweils aktuellen destruktiven Wasserstand aus dem In- und Ausland. Es darf auch einmal positiv sein. Genau wie es auch andere Themen sein dürfen als Bildung und Wirtschaft neben der Gesundheit.
Alleinstehende gleich welchen Alters und welcher Herkunft womöglich mit Vorerkrankungen im Home Office oder stellenlos hat derzeit niemand am Schirm. Und das in einem fast 9-Millionen-Einwohner-Land mit rund 1,5 Millionen Single-Haushalten*. Ältere werden nur noch als „Risikogruppen“ bezeichnet, das „Mensch-Sein“ wird ihnen damit nahezu abgesprochen. Information wird zur Holschuld erklärt. Seit Jahren etwa wird Barrierefreiheit propagiert. ÖGS ist auch eine anerkannte Sprache. GebärdensprachdolmetscherInnen bei Pressekonferenzen oder Untertitel bei wesentlichen Informationen sind ausgerechnet in der Krise aber Mangelware. Die Pandemie versachlicht zudem die Sprache, um nur ja nicht zu emotionalisieren – und führt genau dazu: zu Gefühlen – und zwar zu Gefühlen der Unsicherheit.
Die Krise als Chance
Dabei wäre die Krise auch eine Chance. Und zwar jetzt! Nicht erst danach, wenn viele versuchen werden, einen Zustand ähnlich einer Normalität zu finden.
Wir könnten uns jetzt etwa entscheiden, Menschen nicht nach Augenfarbe, Haarlänge oder welchen Kriterien auch immer, in Schubladen zu stecken und dafür anzufeinden. Wir könnten uns dem Thema Umverteilung widmen und überlegen, was denn jetzt wirklich so falsch an einem bedingungslosen Grundeinkommen ist. Wir könnten uns darauf einigen, die gläserne Decke ein für alle Mal zu durchbrechen sowie Personen in Berufen mit hohem Frauenanteil, wie Pflege und Pädagogik, nicht deshalb niedriger zu entlohnen, eben weil dort so viele Frauen arbeiten. Wir könnten uns solidarisch zeigen und enger zusammenrücken, anstatt jemand, der das nie behauptet hat, verletzend zu erklären „Ich kann nichts für deine Situation.“ Und wir könnten Barrierefreiheit und Inklusion nicht nur als Begriffe bemühen, sondern sie auch leben.
Persönlich könnten wir uns bewahren, viel öfter zu entschleunigen, in die Natur zu gehen, ohne ein weiteres Ziel zu haben als sie einfach zu genießen. Wir könnten uns auch weiter um einander kümmern, ohne zu überlegen, was wir vom anderen dafür bekommen. Die Liste ließe sich noch beliebig weiterführen.
Was war?
Neben dem „Was ist?“ und „Was wird sein?“ gibt es noch eine andere Frage, deren Antwort nicht vergessen sein sollte: Was war?
Es geht auch ums Zuvor. Es geht darum, sich zu erinnern an gute persönliche Begegnungen, aber auch an persönliche Erfolge, an denen eins gewachsen ist wie auch an Errungenschaften aus vielen Jahrzehnten, die wir uns mit Verweis auf eine Krise als Gesellschaft nicht einfach nehmen lassen dürfen.
Für keinen ist die Situation einfach. Und sie dürfte Post-Corona auch nicht leichter werden. Aber jeder und jede von uns macht den Unterschied. Anstatt persönliche Befindlichkeiten vor sich herzutragen, scheint mit Zusammenhalten und Gesundbleiben schon viel geholfen.
*) Laut Zahlen der Statistik-Austria
Kriseninterventionszentrum Telefon: 01/406 95 95
Psychiatrische Soforthilfe Telefon 01/31330
Frauenhelpline gegen Gewalt Telefon 0800/222 555
Telefonseelsorge: Sorgentelefon 142 (innerhalb Österreichs)
Lebens- und Sozialberatung