Ein weiterer Blick auf die Medienkrise

Alexandra Borchardts „Mehr Wahrheit wagen – Warum Demokratie einen starken Journalismus braucht“ weckt hohe Erwartungen. Medienschaffende oder KommunikationswissenschaftlerInnen, wie ich, die jeden Tag Berichte, Meinungsartikel oder Studienergebnisse zu Journalismus und Medien lesen, fühlen sich an einiges erinnert, das sie schon wieder vergessen hatten. Gerade für jene, die mit Journalismus nur indirekt zu tun haben, liefert Borchardt aber streckenweise eine gute Zusammenfassung der Medienkrise.

Viel Info und gute Anregungen

Es ist ausgesprochen positiv, dass sie dem Journalismus auch die andere Seite, jene der RezipientInnen, gegenüberstellt. Sie führt aus, dass diese im Wettlauf der konkurrierenden Medien schon länger Ermüdungserscheinungen haben und immer schwerer zu erreichen sind. Sie geht auch etwas tiefer, wenn sie aufzeigt, dass Medien gerne darauf hinweisen, dass bei manchen Online Plattformen nicht ganz klar ist, was mit den Nutzerdaten passiert. Dazu wirft sie die Frage auf, was Medienhäuser selbst mit den Daten ihrer Kunden machen und wie sie mit damit umgehen.

Sie nennt Journalisten elitär. Sie beklagt, dass die Branche vorwiegend von Männern dominiert wird. Gleichzeitig bricht sie eine Lanze für Journalisten. Angesichts immer schneller drehender Themen und zunehmend geringerer Personalressourcen bliebe kaum Zeit für professionelle Recherche. Zwar verurteilt sie den in seriösen Häusern üblichen Faktencheck nicht, sie macht aber deutlich, dass dieser die Redaktionen zu Getriebenen mache. „Es absorbiert viel Energie, die Journalisten für eigene Recherchen bräuchten. Sie haben die Hoheit über die Agenda verloren.“ Auch immer neue Analysetools, die etwa aufzeigen, welche Artikel und von welchen AutorInnen am häufigsten gelesen werden, würden den Journalismus negativ beeinflussen.

Journalisten sollten für ihre Arbeit PR machen

Borchardt fordert aber auch, dass JournalistInnen ihre Arbeit erklären sollten, was nicht passiere. Und hier zeigt sich eine der Schwächen dieses Buches: Sie meint ganz klar, dass es an PR im Journalismus fehle, ohne es auch so zu nennen. Es kann sein, dass sie sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht hat, dass Öffentlichkeitsarbeit auch für Medienschaffende ein Thema sein könnte. Public Relations nicht im gleichen Atemzug mit Journalismus zu erwähnen, hat aber natürlich noch einen anderen nachvollziehbaren Hintergrund: Sie werden gerne als komplett gegensätzliche Tätigkeiten gesehen, die mit ähnlichen Mitteln arbeiten. In Unkenntnis der Tatsachen was PR ist, wird es gerne als Manipulation gesehen und weniger als Möglichkeit, sein Tun offenzulegen und die eigene Existenzberechtigung zu vermitteln.

Echter Journalismus findet nur in Print und online statt

Daneben finden sich noch weitere Wissenslücken. So analysiert Borchardt etwa sehr einseitig. Sie spricht zumeist von LeserInnen, von MediennutzerInnen und meint ganz klar die Klientel von Verlagshäusern. Lediglich an wenigen Stellen erwähnt sie kurz Radio – und schwenkt etwa zu Podcast weiter. Das ist wenig verwunderlich, wenn man weiß, dass Podcasts mittlerweile auch zum Content-Angebot von Medienhäusern gehören und ihr somit wohl eher geläufig sind. Es klingt jedoch ganz klar durch, dass sich Journalismus für die langjährige Mitarbeiterin der Süddeutschen Zeitung auf Print und Online erstreckt. Journalismus in Hörfunk und Fernsehen spart sie aus. Das wundert umso mehr, als sie auch über die Grenzen Deutschland hinausblickt und auf für die Pressefreiheit schwierige Länder in aller Welt hinweist.

Nicht zuletzt ist auch der Titel unpassend. Die Aufforderung: „Mehr Wahrheit wagen“ erinnert ein klein wenig an Stephane Hessels „Empört Euch“. Gleichzeitig ist Borchardt damit sehr vage. Die Beantwortung des Untertitels „Warum Demokratie einen starken Journalismus braucht“ wird nicht eingelöst. Das Buch gibt lediglich Anregungen.

Würde ich es empfehlen? Aber ja! Je mehr man selbst in der Materie drinnen ist, umso eher fallen einem Lücken auf. Für einen Überblick über den Status Quo und für mögliche Anregungen, wie Journalismus künftig aussehen könnte – nämlich transparenter und investigativer – ist das Buch auf jeden Fall geeignet.

Details zum Buch
Alexandra Borchardt: Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht. Dudenverlag. Berlin 2020, 18,50 EUR

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