Das Formatradio in der Sackgasse

Das Formatradio war in Österreich schon immer ein Stiefkind. Ob zu recht oder zu unrecht, soll an anderer Stelle geklärt werden. Einheitsbrei oder Dudelfunk lauteten die gängigen Bezeichnungen speziell für die Adult-Contemporary Formate. Zu hören sind sie allerdings kaum noch. Das liegt allein daran, dass es dem heimischen Privatradio ganz allgemein an Aufmerksamkeit fehlt. Gut zu erkennen ist das am 2. Radiotest des Jahres.

Für Tageszeitungen und Branchenblätter hat sich die Berichterstattung übers Radio damit bis Jänner nächsten Jahres wieder einmal erledigt. Deshalb folgt hier nach einigen Tagen des Nachdenkens eine unabhängige (und ja: auch unbezahlte) Analyse samt Lösungsvorschlägen.

Corona (es geht nicht ohne dessen Erwähnung) sollte „das Radio“ aus der Krise holen. Zwischenzeitlich hieß es, Radio habe wieder mehr Hörer:innen. Das lässt sich, je nach Lesart, auch am jüngsten Radiotest ablesen; allerdings zu Ungunsten der Privaten. Dass Menschen in Zeiten einer Pandemie, in der sie eingeschränkt sind und dennoch ihr gewohntes Leben nach Möglichkeit aufrecht erhalten möchten, vermehrt Information beim Radio suchen, ist wohl wenig verwunderlich. Das ist eben auch der Punkt: Hörer:innen tendieren mehr zum Wort – und das nicht erst in den vergangenen Monaten.

Ansprache gegen die Vereinsamung

Dazu hilft schon ein Blick auf die Lebensrealität der Österreicher:innen. Wenn 1,5 Millionen Menschen im Land in einem Singlehaushalt leben, viele aufgrund der jüngsten Umstände von daheim arbeiten (müssen) oder gar ihren Job verloren haben, braucht es Ansprache gegen die Vereinsamung.

Das Fernsehen kann als Geräuschkulisse dienen. Es kann aber nicht auf die gleiche Weise als Nebenbeimedium konsumiert werden wie Radio, also etwa neben der Arbeit. In Telenovelas oder Soaps, die tagsüber im Fernsehen laufen, fehlt es an direkter Ansprache der Rezipient:innen, wie man sie aus dem Radio kennt. Das ist ein sehr bedeutender Unterschied.

Wer im quasi Lockdown ausschließlich Musik hören wollte, wie es einem das Formatradio bietet, konnte sich in diesem Frühjahr endlich ausgiebig ein eigenes individuelles Programm zusammenstellen – über Streamingdienste.

Verhaltener Jubel bei den Privaten

Den gewöhnlich nach außen getragenen Jubelrufen angesichts des traditionell am letzten Donnerstag im Juli veröffentlichten Radiotests für das 1. Halbjahr konnte das wenig anhaben. Selbst für unabhängige Beobachter:innen lässt sich erkennen, dass die untersuchten Radiosender jedes Mal in der Auswertung etwas für sich Positives finden. Hinter den Kulissen dürfte es einmal mehr anders aussehen. Das zeigt sich diesmal schon daran, dass nicht jeder Sender die seit vielen Jahren übliche Presseaussendung tags davor vorbereitete und zeitnah ausschickte, während andere Sender eine Untersuchung während der Corona-Pandemie gleich ganz ablehnten. Wohl unnötig zu sagen, dass die Kurve für genau diese Sender im ersten Halbjahr 2020 nach unten ging.

Gewinner bei den Privatradios

Der große Gewinner des Radiotests ist der Öffentlich-rechtliche Rundfunk. Namentlich ist es der werbefreie und österreichweit empfangbare Sender Ö1 – ein erklärtes Wortradio. Hinzu kommen auch noch die ORF-Regionalsender in der Steiermark und in Oberösterreich, die ebenfalls Zuwächse verbuchen können. Ein geringes Plus weisen bei den Privaten etwa die Life Radios in Oberösterreich und Tirol auf. 88,6 kann sich geringfügig steigern. Zur großen Überraschung vieler gibt es bei den Privatradios nur genau eine große Siegerin: Antenne Kärnten. Der Sender hat seine Tagesreichweite in der Kategorie 14-49 von Montag bis Sonntag gegenüber dem 1. Halbjahr 2019 um knapp 7 Prozentpunkte auf rund 37 Prozent gesteigert. Die Tagesreichweite in der Kategorie 10+ von Montag bis Sonntag hat Antenne Kärnten von 20 Prozent auf 25 Prozent ausgebaut. Es ist im Übrigen ein Antenne-Sender, den sich Radio Austria nicht einverleibt hat.

Verlierer bei den Privatradios

Womit wir aber auch schon bei den Verlierern sind, von denen es einige gibt. So hat etwa KroneHit in Wien massiv an Zuspruch eingebüßt. Besonders augenfällig ist der Absturz des einstigen Wiener Vorreiters, Radio Arabella. Der Sender sank in der Hörergunst auf 4,8 Prozent. In der werberelevanten Zielgruppe der 14-49jährigen lag die Tagesreichweite gar nur noch bei 2,6 Prozent. Kleinere Verlust an Hörer:innen gab es bei Arabella in Niederösterreich sowie in Oberösterreich.

Erstmals ausgewiesen ist Radio Austria und damit ein Sender, dessen Name es noch nicht in die allgemeine Wahrnehmung geschafft hat. Die Frequenz 102,5 in Wien verbinden viele noch mit (der ebenfalls von Wolfgang Fellner gegründeten) Antenne Wien oder auch mit oe24. Am Rande sei daher erwähnt: Hätten die Verantwortlichen ein klein wenig Ahnung von Marketing, hätten sie auf derart viele Umbenennungen verzichtet. So aber wollten sie sich vom Sendestart weg gegen Bargeld in den Köpfen der Hörer:innen verankern. Gelungen ist das zum Teil – oder genauer gesagt bei an die 2 Prozent in Wien. Bergab geht es auch für das Radio Austria Flagschiff in Salzburg, die ehemalige Antenne Salzburg. Das 1995 als Radio Melody gegründete zweitälteste heimische Privatradio befindet sich seit der Fellner-Übernahme auf schleichender Talfahrt. Für Radio Austria reichen die Radiotest-Zahlen im Übrigen aus, um derzeit eine Plakatkampagne mit dem Schriftzug »Ganz Österreich hört Radio Austria« zu fahren. Das bestätigt einmal mehr die Redensart, wonach Papier geduldig ist.

Zweifel an der Methode

Bei aller Zahlenanalyse hat aber natürlich auch diese Medaille zwei Seiten. Wie Privat-TV- und Privat-Radio-Macher:innen in der Weiterbildung der Privatsenderpraxis oder Radio-Newcomer:innen im Ausbildungsprogramm von radiobroadcaster erfahren, erfolgt die Erhebung des Radiotests auch 2020 per Telefon. Das lässt einige Lücken zu. Daher ist es wohl auch nicht nur der verletzten Eitelkeit der – fast durchwegs männlichen – Senderchefs aufgrund nachlassenden Hörer:innen-Interesses geschuldet, dass sie neue Erhebungs-Methoden fordern. Schließlich fehlt es bei all den Zahlen auch an einer Trennung von klassischem Radiokonsum via Radiogerät, der Nutzung via DAB+ bzw. der Online-Rezeption. Das schlägt die Brücke zum nächsten Thema, womit wir beim eingangs erwähnten Interesse am Wort wären.

Popularität von Podcasts bleibt unbeachtet

Online-Rezeption schließt mittlerweile auch das Hören von Podcasts ein. Diese fehlen im österreichischen Radiotest noch vollkommen. In Deutschland hingegen wird schon seit Längerem die Audionutzung als Ganzes untersucht und damit auch die Podcast-Nutzung sowie jene von Spotify. Daran ließe sich wahrscheinlich auch erkennen, dass die Österreicher gerne hören oder zuhören, nur eben nicht ständig der Musik des Formatradios, sondern dem Wort, das ihnen Mehrwert bringt.

Mögliche Lösungsansätze

Wie also könnte die Lösung für ein Formatradio oder kommerzielles Privatradio in Österreich aussehen? Im Folgenden gibt es nur ein paar kurze Antworten als Diskussionsgrundlage:

  • Raum für mehr Wort

Der 3-Element-Break hat seine Berechtigung – speziell für die Senderkennung oder der Unterstreichung des Live-Charakters. Gerade Regionalradios sollten aber verstärkt Raum lassen zum einen für Moderationen und zum anderen für ihre Hörer:innen. Vielfach wird Radio auch heute noch mit Call-Ins verbunden. Diese gibt es etwa im Verkehrsservice, ein richtiges Gespräch, eine Anlaufstelle, die Hörer:innen bindet, fehlt aber weitgehend.

  • mehr Individualität

Personality ist seit Jahren ein Schlagwort im Rundfunk-Betrieb. Moderator:innen werden dazu animiert, Kurse zu belegen, in denen sie lernen, ihre eigene Persönlichkeit über das Mikro wirken zu lassen. Aber wurde das auch nur irgendwo evaluiert? Unverwechselbarkeit ist dadurch jedenfalls kaum einmal entstanden. Diese bräuchte es aber zur Markenbildung im Privatradio dringend.

  • Das Hauptprodukt nicht vergessen!

Der Sender, egal über welchen Verbreitungsweg gehört, ist das Hauptprodukt. Dass über Online-Netzwerke eine zusätzliche Ansprache von Hörer:innen erfolgt, ist nur folgerichtig. Allerdings braucht es für einen echten und nicht nur vorgegebenen Dialog auch hier mehr Personal. Zusätzlich an Wochenenden Volontäre damit zu beauftragen, Kommentare zu moderieren, nachdem sie wochentags bereits 40 Stunden arbeiten, kann auf lange Sicht nicht die Lösung sein. Wenn – wie jetzt – die Hörer:innenzahlen sinken, lässt sich dem auch nicht auf Facebook oder Instagram entgegenwirken, sondern über eine Verbesserung des Hauptproduktes.

  • Weg von jung, willig, billig

„Es darf nichts kosten“ – genau das hört man manchen Privatradios auch an. Man kann es sich als Learning by Doing oder als Stoß ins kalte Wasser schönreden. Routiniers abzuschieben, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens zu teuer werden und stattdessen ausschließlich auf widerspruchslos agierenden Nachwuchs zu setzen, rüttelt an der Existenzberechtigung eines ernstzunehmenden Senders.

  • Den Mitarbeiter:innen zuhören

„Wir haben beschlossen, wir machen dieses und jenes“ – Natürlich kann man auch 2020 an einem autoritären Führungsstil festhalten. Wem jedoch daran gelegen ist, sein Produkt zu verbessern oder auch nur zu erhalten, sollte auch einmal jenen zuhören, die den Sender stimmlich oder durch andere redaktionelle Mitarbeit nach außen tragen. Radio ist ein Medium, das Emotionen transportiert oder auslöst. Was liegt also näher, ein wenig auf Mitarbeiter:innen zuzugehen und ihnen zuzuhören?

Das sind nur einige als Anregung gedachte Lösungsansätze.

Was würdet ihr euch von einem Privatradio in den 20ern wünschen? Sollte Formatradio einfach weitermachen wie bisher? Schreibt es mir doch unten in die Kommentare.

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