Selten wurde das Buch derart thematisiert wie in den vergangenen Wochen. Kulturelle Veranstaltungen, wie Theater- oder Opernaufführungen konnten keine mehr stattfinden bzw. nur noch online. Daher wurde das Buch plötzlich für die Kulturberichterstattung interessant. Informationssendungen im Fernsehen und im Radio sowie Online-Portale stellten uns plötzlich Neuerscheinungen vor. Viele von uns kommen aber wohl ohnehin gebildeter aus der Krise – oder zumindest belesener. Denn auch ohne diese Berichterstattung entdeckten manche das Buch wieder. Das Bücherregal wurde abgestaubt und Lesestoff gefunden, den wir gar nicht vermisst hatten. Manche Bücher waren seit Jahren unberührt – oder gar seit Jahrzehnten.
Heute nun sind es auf den Tag genau 112 Jahre, dass Oskar Schindler geboren wurde. Meine erste Begegnung mit seinem Wirken war weniger durch den oscarprämierten Hollywood-Film, der einer wahrscheinlich sofort einfällt, sondern durch dessen in den 1980er Jahren erschienene Vorlage. Und das, obwohl ich Thomas Kenneallys Buch nie gelesen habe. Vielmehr kannte ich jemanden, der darüber in der Schule referieren musste. Durch die Nacherzählung des Inhalts bekam ich erstmals mit, was ein Mensch allein mit Haltung, mit Überzeugung und andere überzeugend, zu leisten imstande ist. „Schindlers Liste“ steht immer noch auf meiner Liste noch zu lesender Bücher. Seinen Inhalt nur gehört und nicht selbst gelesen zu haben, war für mich aber Anlass für eine Rückschau.
Was habe ich denn tatsächlich in den 1980er Jahren gelesen?
Sich an den Lesestoff eines ganzen Jahrzehnts zu erinnern – und sogar aus dem der Kindheit und Jugend, ist natürlich schier unmöglich. Aber einzelne Bücher aus den geistigen Schubladen hervorzuholen, sollte doch wohl machbar sein.
Überraschend nicht dabei ist George Orwells „1984“, das damals natürlich ein Revival erlebte. Selbst las ich es, wie auch Aldous Huxleys „Brave New World“, allerdings erst in den 1990er Jahren. Die Liste wäre lange, wenn ich die gesamte Pflichtlektüre aus dem Deutschunterricht hinzufügte. Tatsächlich sollte es aber um die Freiwilligkeit beim Lesen gehen. Also das Lesen als Freizeitverhalten. Am Ende sind es nun eine Handvoll Bücher geworden. Und das nicht zuletzt deshalb, weil ich sie – wie oben beschrieben – beim Abstauben in meinem Bücherregal fand.
Marie von Ebner-Eschenbach „Ausgewählte Erzählungen“
Da wäre zum einen das zweibändige Werk von Marie von Ebner-Eschenbach. Die beiden Bände waren ein Geschenk eines lieben Menschen. Alles was mir heute, Jahre später, nur noch zu ihr einfällt, ist „Krambambuli“ und ihre bemerkenswerten Aussprüche, wie
Solange man selbst redet, erfährt man nichts
und natürlich
Wer nichts weiß, muss alles glauben!
Es ist daher gut, dass ihrer immer wieder gedacht und an sie erinnert wird, wie etwa eben erst in RadioWissen bei Bayern2. Damit wir uns erinnern, sie zu lesen.
Stephen King „Feuerkind“
Ebenfalls abgestaubt habe ich Stephen Kings „Feuerkind“. Ich erinnere mich gut daran, es mit 13 Jahren gelesen zu haben. Es hinterließ einen derart starken Eindruck, dass ich danach nie wieder ein Buch von ihm las. Was negativ klingt, ist im Gegenteil eine Verbeugung. Es berührte mich. Es zog mich in seinen Bann. Und es machte mir vor allem sehr sehr viel Angst. Das alles spricht für seine Phantasie und dafür, Geschichten erzählen zu können. Allerdings könnte ich nicht sagen, wie ich es heute aufnehmen würde.
Vor einigen Jahren etwa nahm ich Jack Londons „Martin Eden“ wieder zur Hand. – Und damit ebenfalls ein Buch, das ich in den 1980er Jahren freiwillig gelesen habe. Die Schlussszene wird mir wahrscheinlich auf ewig in Erinnerung bleiben. Der Rest aber ist vergessen. Beim Wieder-Lesen kam ich über die ersten Seiten nicht hinaus. Der antiquierte Erzählstil war derart anstrengend, dass es wohl viel Unerfahrenheit im Lesen bedarf, um wirklich bis zum Ende durchzuhalten.
Carlos Castaneda „Die Lehren des Don Juan“
In eine ganz andere Richtung schlägt Carlos Castanedas „Die Lehren des Don Juan“. Von Schulkolleginnen hörte ich, es sei ein „Must Read“. Um mitreden zu können, las ich es. Natürlich. Das war genau damals in den 1980er Jahren – und danach nie wieder. Das mag aber weniger den Erzählungen über Drogenexperimente bzw. pilzunterstützter Bewusstseinserweiterung geschuldet sein, als dem Buchdruck: Auch gesunde Augen verwehren sich dem Lesen eines längeren einzeiligen Textes in Schriftgröße 8!
Patrick Süskind „Das Parfum“
Patrick Süskinds „Das Parfum“ schlug in den 1980er Jahren ein, wie wohl kein anderes Buch. Zumindest erinnere ich mich nicht, dass ein anderes Werk damals derart großen Zuspruch hatte und derart wohlwollend aufgenommen wurde. Die Geschichte war bizarr, phantasievoll und in Teilen glaubwürdig. Man konnte sie für wahr, für geschehen halten. Und sie spielte in Frankreich, was mir aufgrund des Französischunterrichts in der Schule und meiner Affinität zum Land sehr nahe war. Allen voran bleibt etwa in Erinnerung der Name des Protagonisten: Grenouille, der Frosch.
Bei aller Nostalgie und der Erinnerung daran, welche Emotionen Bücher beim Heranwachsen hinterlassen haben, bleibt aber auch das Erschrecken: Frauen kommen schlicht nicht vor. Die Erzähler sind Männer. Sie erzählen über Männer. Sofern Frauen vorkommen, sind sie zumeist Opfer von Gewalt – durch Männer. Es wäre daher vielleicht angebracht, die Bücher – jetzt staubfrei – wieder ins Regal zurückzustellen und Literatur aus den 1980er Jahren zu suchen, in denen Frauen echte Frauen beschrieben und keine wandelnden Klischees.
Ich freue mich über Tipps und Anregungen dazu in den Kommentaren!